Mehr Gefühl wagen: kundennahe Entwicklung im Finanzbereich
Projekte im Finanzbereich sind oft begleitet von Bedenken und Ängsten. Wen wundert es, steht doch die ganze Branche vor einem neuen Verdrängungs- und Umbruchprozess. Entscheider sehen sich an 3 Fronten (mindestens) herausgefordert: a) immer mehr sprießende Fintechs, welche sich einen kleinen Teil der Finanzdienstleistungen herauspicken und diesen sehr sexy anbieten, b) eine immer schwieriger zu segmentierende Kundenklientel welche äußerst misstrauisch und empfindlich unterwegs ist und c) Regularien welche auch einfache Prozesse wieder etwas umständlicher machen. Quizfrage: was hat das mit Emotion zu tun? – Eine ganze Menge!
Kundennahe Entwicklung mit Mut zur Emotion
Projekte im Finanzbereich sind oft begleitet von Bedenken und Ängsten seiner Beteiligten. das ist normal und legitim, wen wunderts auch, steht doch die ganze Branche vor einem neuen Verdrängungs- und Umbruchprozess. Entscheider sehen sich an 3 Fronten (mindestens) herausgefordert: immer mehr spriessende Fintechs, welche sich einen kleinen Teil der Finanzdienstleistungen herauspicken und diesen sehr sexy anbieten, eine immer schwieriger zu segmentierende Kundenklientel welche äußerst mistrauisch und empfindlich unterwegs ist und Regularien welche auch einfache Prozesse wieder etwas umständlicher machen. Quizfrage: was hat das mit Emotion zu tun? – Eine ganze Menge!
Das Beispiel der Widerborstigen
Eines Mittwochabends im Winter, um 20 Uhr, Fokusgruppenrunde im Rahmen eines Online-Service Projektes für eine Bank. Die Keksteller sind kaum angerührt, die Wasserflaschen dafür umso mehr, denn es wird viel gesprochen und debattiert. Für die anwesenden Teilnehmer ist das Arbeit nach einem langen Arbeitstag, dennoch sind alle engagiert dabei. Die Beobachter halten sich still im Hintergrund: 1 Vorstandsmitlied, Entscheider aus Marketing und Vertrieb und IT. Rund um den Tisch: 12 Teilnehmer, 2 Moderatoren, und ein zähes Problem.
Es werden verschiedene Szenarien gezeigt und diskutiert: Übersichten, Transaktionsprozesse, Kontaktaufnahme, Berechnungen. Stets zeigen die Moderatoren unkommentiert das nächste Modul, die Teilnehmer kommentieren. Alle halten die neue UX für besser und können sich schnell daran gewöhnen. Alle? Nicht ganz. Eine junge Frau hat Zweifel, sieht keine Verbesserung – weil Abweichung vom Gewohntem – und steht im Zentrum einer kontroversen Diskussion aller Teilnehmer. Die Moderatoren (einer davon war ich selbst) vermitteln die Argumente, denn, hier soll keiner mehr Recht als Andere haben, das Bedenken eines Jeden ist wichtig und hörenswert.
Der Abend gestaltet sich immer mehr zu eine ‚Eine-gegen-Alle‘ Show: der Löwenanteil der Teilnehmer findet gefallen an den neuen Lösungen und es ist Ihnen auch bewusst, dass dies für Sie mit mehr Convenience aber auch etwas Umdenken verbunden ist, dafür wird es einfacher. Nur die junge Frau sieht das anders und argumentiert auch geschickt, so, dass alle anderen Teilnehmer ihre eigenen Argumente auffahren müssen um sie zu überzeugen.
Emotionale Petrischale
Im Auditorium sind die emotionalen Rollen klar verteilt: die Nüchternen, die Besserwisser, die Grundsätzlichen, die Gemütlichen, die Adaptiven, die Bewahrer, die Mittelstürmer, die schweigende Minderheit. In der Beobachtungsloge sind zusätzlich weitere emotionale Rollen zugegen: Dominante (Vorstand), Hungrige (Vertrieb), Vorsichtige (Marketing, IT) und Selbstsichere (Kundenservice). Letztere sind deswegen so selbstsicher weil sie die zu den wenigen Parteien gehören die direkten Kontakt mit den Endkunden hat, und dadurch von emotionalen Gegebenheiten am wenigsten überrascht wird.
Trotz ihrer unterschiedlichen Rollen und Verantwortungen im Unternehmen, an diesem Abend sind alle gleich wichtig, die Endkunden sowieso. Weil die Endkundenteilnehmer so unverblümt agieren, ändert sich auch die Diskussion in der Beobachtungsloge: es kommen mehr Emotionen ins Spiel, Befindlichkeiten sind auf einmal Diskussionsgegenstand, plastisch geschildert, mit persönlichem Kontext. Neben der Fachlichkeit hat sich eine emotionale Ebene in die Diskussion eingeschlichen von der alle Beteiligte später noch zehren (und die in keinem Powerpoint Dokument steht).
Was es bringt?
Warum ist diese Petrischale so wichtig? Weil sie so selten angwandt wird.
Financial Services sind immer abstrakt, es gibt kein haptisches Gut zu dem wir eine emotionale Bindung entwickeln können (Ausnahme: Dagobert Duck). Regularien sorgen dafür, dass Emotionen nicht zu Lasten der Informationspflichten benutzt werden. Financial Services müssen sich als Dienst besser und stärker emotionalisieren, d.h. Funktionen und Leitungen antizipieren, die Sprache der Kunden sprechen, vereinfachen und bei der Bewältigung des eigenen Finanzlebens helfen(!). Das ist schon eine Menge. Leider sind diese Aufgaben oftmals fachlich getrennt: Financial Experiences und Financial Content. Gehören doch beide eng miteinander verzahnt! Für Endkunden zählt nur ‚wie fühlt sich das an‘ und ‚wie spricht die Bank mit mir‘, d.h. Endkunden unterscheiden nicht zwischen Funktion und Sprache. Alles ist Bank. Alles ist Service. (Hallo: Fintechs bauen genau darauf!) Ergo: je eher sich Finanzanbieter Ihrer emotionalen Dimension bewusst sind, desto eher können sie in Services denken und Fühlen. Das gilt für alle Bereiche im Unternehmen – nicht nur bei denen die direkten Kundenkontakt haben.
Emotionen im Entwicklungsprozess zu Managen ist ein unterschätztes Gut, aber ein immer wichtigeres, da immer mehr Dienste digital erfolgen. Emotionale Aspekte dürfen dabei nicht auf der Strecke bleiben, sie müssen intern erlebt werden, weitererzählbar, inszenierbar, abrufbar. Das macht jede Kundennahe Entwicklung agiler und einfacher.
Zu guter Letzt: Die Widerborstige – Teil II.
- Zurück zum besagten langen Abend im Winter. Die Diskussion war aufwühlend. Ich bin am Ende ziemlich platt – aber ich halte das Geschehene für einen vollen Erfolg aus zwei Gründen:
Neben der fachlichen Argumentation war es wichtig, dass Emotionen im Spiel waren: Emotionen bei der Zweiflerin wie auch bei den Befürwortern. das Beobachten einer emotionalen Diskussion löst bei den Stakeholdern eine vielfältige Empathie aus: sie können nun das ‚Versagen‘ von Usern besser verstehen. Sie erhalten eine echte Persona mit Gesicht, Stimme, Gestik und Mimik. Sie erzählen in allen weiteren Projektmeetings von der ‚Widerborstigen‘ und kennen alle Details ihrer Argumente und warum sie so stark diskutiert hat. Sie haben nun eine emotionale Beziehung zu Ihr- keine Powerpoint Abstraktionen für Management Meetings. Und das wichtigste: sie habe diese Person erlebt und können in Ihrer weiteren Projektarbeit immer wieder auf diese Erfahrung zurückgreifen. - Für mich war es der Höhepunkt des Abends als die junge Frau nach 4/5 von Zeit und Material laut ausrief „Jetzt aber!“ Irgendwann hatte sie für sich den Dreh gefunden und das Gesamtbild klarte sich für sie auf. Auch rückwirkend relativierte sie ihre Kommentare zu den anderen Szenarien. Die anderen Teilnehmer atmeten auf und bestärkten sie in ihrem Feedback. Und die stillen Beobachter aus Vorstand und Marketing? Die hatten ordentlich etwas zu erzählen! Die transportierte Story nahm im weiteren Verlauf des Projektes viele Formen an aber immer mit dem Bestandteil des kleinen emotionalen Dramas welches darin enthalten war. Nebeneffekt: alle fachlich Beteiligten konnten sich emphatisch mit dem Vorgang identifizieren, das macht die Zusammenarbeit leichter.
Deshalb: mehr Gefühl wagen! – Emotionen in Planung, Konzeption und Entwicklung im Finanzbereich helfen.
Dieser Beitrag ist eine Weiterentwicklung meines Vortrages ‚Wege zu neuen Banking Experiences Online & Mobile‘ auf der IAK.
Der Vortrag auf Slideshare
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Siehe auch:
Personas: Machen Sie sich selbst ein Bild
(Lesezeit: 2 Minuten)